AfD missbraucht das Thema Behinderung

Eine Kleine Anfrage der AfD an die Bundesregierung von 12. April 2018 zum Thema "Schwerbehinderte in Deutschland" schlug in den vergangenen Tagen hohe Wellen.

Die Fragesteller stellten darin einen Zusammenhang her zwischen der Zunahme amtlich anerkannter Schwerbehinderter, der Heirat zwischen Angehörigen als mögliche Ursache für Behinderung und dem Zuzug von Menschen mit Migrationshintergrund. Im Vorspann zu dieser Anfrage wird eine nicht näher belegte britische Studie zitiert, nach der angeblich "60 Prozent der Todesfälle und Erkrankungen hätten vermieden werden können, wenn die Inzucht beendet würde".

Kleine Anfragen dienen vordergründig dazu, Fakten und Zusammenhänge in Erfahrung zu bringen. Sie sollen aber auch eine bestimmte Sichtweise der Fraktion in den Fokus rücken. In den sechs Fragen der AfDler an die Bundesregierung steckt ein Rückgriff auf eugenische Vorstellungen. Eugenik ist die Lehre von der Erbgesundheit, die nach der Überzeugung ihrer Verfechter Maßnahmen zur Volksgesundheit notwendig macht. Der Staat solle mit gesetzgeberischen Mitteln die Verbreitung negativer Erbanlagen in der Bevölkerung verhindern. Dazu gehören Maßnahmen gegen erblich bedingte Erkrankungen ebenso wie gegen genetisch minderwertige Volksgruppen und Rassen. In dieser Logik fragen die AfD-Abgeordneten sowohl nach den (in ihren Augen vorwiegend genetischen und vermeidbaren) Ursache von Behinderungen als auch nach der Zuwanderung von (angeblich inzestuösen) Migranten nach Deutschland.

Die Eugenik wurde in England von Darwinisten entwickelt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste sie Fuß in so unterschiedlichen Ländern wie den USA und Kanada, in der Schweiz, in Skandinavien, der Sowjetunion oder in Japan. Nach dem Krieg wurden die erlassenen Regelungen zur Geburtenkontrolle fast überall wieder aufgehoben. In ihren Verbreitungsländern diente sie dazu, Minderheiten zu stigmatisieren und die Grundrechte der betroffenen Personen einzuschränken.

In Deutschland haben wir besonderen Grund, ein Wiedererstarken eugenischer Ideen zu verhindern, denn nirgendwo waren deren Folgen so gravierend wie bei uns nach Hitlers Machtergreifung. Schon 1933 führten die Nationalsozialisten ein eugenisch begründetes Sterilisationsgesetz ein ("Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses"). Es sah eine Zwangssterilisation vor und ermöglichte sie überall da, wo man genetische Ursachen vermutete: bei "angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, erblicher Fallsucht, erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerer erblicher körperlicher Missbildung, […] schwerem Alkoholismus." 300.000 Menschen waren davon betroffen, viele starben an den Folgen des Eingriffs.

Nach 1939 gingen die Machthaber einen Schritt weiter: In der Aktion T4 mündete die eugenische Abwertung von "Minderwertigen" in der Vernichtung "lebensunwerten Lebens". 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen fielen ihr zum Opfer. Nach erheblichen Protesten aus den Kirchen und aus Teilen der Bevölkerung wurde die Aktion 1941 beendet. Die Ermordung war Vorläufer und Experimentierfeld für den Holocaust, den Mord an fünf Millionen europäischer Juden.

Die AfD-Abgeordneten zeigen sich nach den Negativreaktionen empört darüber, dass ihre Anfrage in einen solchen Zusammenhang gestellt wird. Sie suggerieren jedoch eindeutig, dass Behinderung weitgehend vermeidbar sei und stellen als erste Partei im deutschen Bundestag indirekt die Kosten für die Betreuung behinderter Menschen infrage, wenn auch bisher nur für behinderte Kinder von Migranten. Die Sozialverbände und die Kirchen haben recht, wenn sie dem Versuch einer populistischen Stimmungsmache gegenüber Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen entschieden entgegentreten. Wir alle, die wir in der Eingliederungshilfe tätig sind, sollten wachsam bleiben.

Ein Statement von 53° Nord, dem sich die LAG AVMB BW vollinhaltlich anschließt. Die BAG Selbsthile richtete zum selben Anlass einen Offenen Brief an die Mitglieder Des Deutschen Bundestags.

Leben mit der Rente: Was machen Behinderte in und mit ihrem Ruhestand?

Mal unterstellt, dass auch Mitarbeiter einer WfbM eine nennenswerte Rente bekommen, wenn sie das Rentenalter erreicht haben: was machen Menschen mit geistiger Behinderung den ganzen Tag, wenn Ihnen die Lohnarbeit als tagesstrukturierende Sinnstiftung altersbedingt nicht mehr zu Verfügung steht? An dieser Frage scheitern ja schon viele Nichtbehinderte und fallen „im Ruhestand“ in ein tiefes Loch.

Angelika Kröger hat sich diesen Fragen gestellt: Älterwerden und das Leben im Ruhestand ist persönliches Thema der 57-Jährigen, die im Alltag Schrauben bei den Hagsfelder Werkstätten der Lebenshilfe Karlsruhe HWK in Storenacker verpackt. Seitdem sie im Sommer den Kurs „Älterwerden“ im begleitenden Angebot der HWK besuchte, beschäftigt sie sich damit, was Altwerden für sie bedeutet, welche Interessen sie hat, was sie lernen und was sie vielleicht verändern will. „Das hat mir sehr geholfen“, erzählt sie: Inzwischen ist sie aus dem Wohnheim aus- und in eine Dreier-WG umgezogen und hat mit ihrem Betreuer eine Patientenverfügung aufgesetzt.

Auch Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) müssen sich mit der demografischen Entwicklung in Deutschland auseinandersetzen, mit der (Über-)Alterung unserer Gesellschaft: „Wir haben Bereiche“, sagt Monika Lennermann-Knobloch von den HWK, „in denen in den nächsten fünf Jahren jeder Zweite über 50 ist.“ Die HWK haben sich deshalb des Themas Ruhestandsgestaltung angenommen und in einem dreijährigen Projekt unter der Leitung von Lennermann-Knobloch Ansatzpunkte für eine individuelle Altersplanung in der Werkstatt entwickelt: Zentrales Instrument auch in „Altersfragen“ ist der persönliche Entwicklungsplan, den die Gruppenleiter mit jedem Beschäftigten besprechen und dabei Fragen mit ihm erörtern wie: Braucht er mehr Pausen oder spezielle Arbeitshilfen, eine andere Arbeit oder kürzere Arbeitszeiten?

Die HWK haben altersbegleitende Angebote in der Werkstatt geschaffen, flexible Teilzeitmodelle und morgendliche Ankommgruppen (etc.) aufgebaut und mit einer Leistungsvereinbarung mit der Stadt Karlsruhe eine ortsunabhängige variable Tagesstruktur (inklusive Fahrdiensten und therapeutischen Angeboten) ermöglicht: „Werkstatt muss sich öffnen, ein großes Netzwerk mit externen Partnern knüpfen, damit flexible und individuelle Lösungen gelingen.“ Die Zeitschrift KLARER KURS war vor Ort: den kompletten Artikel lesen Sie in der neuen Ausgabe.

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGüS) 2013 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die den Personenkreis, die Bedarfe und die Bedarfsdeckung sowie die erforderliche Sozialplanung beschrieb und eine Orientierungshilfe für die Sozialhilfeträger erarbeitete. Dies Leitlinien folgen dem Gedanken, dass auch Menschen mit Behinderungen im Alter nach Artikel 19 UN-BRK das Recht haben, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben wollen. Sie sind insbesondere nicht verpflichtet, in besonderen Wohnformen zu leben.

Tagesstrukturierende Angebote für behinderte Senioren mit unterschiedlichem Hilfebedarf: Handlungsansätze für die Stadt- und Landkreise

Der KVJS hat sich mit der Frage befasst, wie zeitgemäße Hilfestrukturen für Seniorinnen und Senioren mit Behinderung gestaltet sein müssten. Beteiligt waren daran Fachleute, die eine Einschätzung aus planerischer, leistungsrechtlicher medizinischer und Vergütungssicht vornahmen. Die Studie (Stand April 2015) finden Sie hier.

Hilfen und Unterstützung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung nach sexualisierter Gewalt

Kinder und Jugendliche mit Behinderung benötigen, ebenso wie Angehörige und Fachkräfte im Umfeld der Betroffenen, Unterstützung und Beratung nach sexualisierter Gewalt. Die Diskrepanz zwischen Bedarf und bisher erfahrener Unterstützungsleistung soll durch das von der Aktion Mensch geförderte Projekt "Hilfen und Unterstützung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung nach sexualisierter Gewalt" (2015-2018) behoben werden. Als Fachkraft können Sie sich an KOBRA wenden,

  • wenn Sie von sexuellen Übergriffen an einem Kind erfahren
  • wenn Sie sich unsicher sind, ob ein Kind sexuellen Übergriffen ausgesetzt war
  • wenn Sie wissen möchten, wie Sie im Alltag stärkend und präventiv mit den Kindern arbeiten können
  • wenn Sie Hilfen für das Kind oder die Angehörigen vermitteln möchten.

KOBRA e.V. Hölderlinstr. 20, 70174 Stuttgart, Tel.: 0711/162 97-0 Fax: 0711/16 97-17, eMail: beratungsstelle@kobra-ev.de

Zum Thema “Sexuelle Gewalt” gab es auf dem Landesinklusionstag 2015 in Stuttgart eine interessante Präsentation von Tabea Konrad vom “Fetz Frauenberatungs- und Therapiezentrum Stuttgart e.V.”

Beachten Sie dazu bitte auch diese Meldung.

mitMenschPreis: Mehr Teilhabe für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf

Zum vierten Mal schreibt der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V. BeB den mitMenschPreis aus. Mit diesem Preis werden Projekte und Initiativen aus „Behindertenhilfe“ oder Sozialpsychiatrie gesucht, die Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf mehr selbstbestimmte Teilhabe ermöglichen. Bewerbungsschluss ist der 31. März 2016.

 

Mädchen in Abwehrhaltung
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Klarer_Kurs-2015-04-280
Menschen mit Behinderung im Alter - Orientierungshilfe; (BAGÜS 2013)-280
KVJSHandlungsansätze-Senioren; (KVJS 2015)-280
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